Springe zum Inhalt

Lesen durch Schreiben lernen

Lesen durch schreiben lernen - Quelle: Pixabay
Lesen durch Schreiben lernen - Quelle: Pixabay

Indem Schüler das Schreiben mit Hilfe einer Anlauttabelle lernen, lernen sie automatisch auch das Lesen, so dass bei dieser Methode auf lesedidaktische Maßnahmen gänzlich verzichtet wird.
Dr. Jürgen Reichen entwickelte Anfang der 1980er Jahre die Methode "Lesen durch Schreiben" mit Hilfe einer Anlauttabelle. Im Gegensatz zum klassischen Fibelunterricht, bei dem zunächst Buchstaben, leichte Wörter und später kurze Texte erlernt werden, stehen den Kindern, die nach der Methode „Lesen durch Schreiben“ unterrichtet werden, von Anfang an alle Buchstaben über eine Anlauttabelle zur Verfügung. Um Wörter zu schreiben, lernen die Kinder gesprochene Sprache aufzuschreiben. Dazu werden die Wörter per Lautkette zerlegt und Laut für Laut aufgeschrieben. Die Schüler können selber bestimmen, was sie schreiben wollen, d. h. sie schreiben, was für sie von Interesse und Bedeutung ist. Lesen lernen die Schüler später automatisch, weshalb insbesondere auf das laute Vorlesen verzichtet wird.

Ein Beispiel: Der Erstklässler möchte das Wort „Esel“ schreiben. Dazu überlegt es sich zunächst, mit welchem Laut das Wort beginnt und sucht dann mit Hilfe der Anlauttabelle nach dem gleichen Laut. Da die verwendeten Anlauttabellen nicht einheitlich sind, kann dies zum Beispiel „Ente“ sein. Nun malt der Schüler den entsprechenden Buchstaben ab und wiederholt den Entschlüsselungsvorgang für die restlichen Laute.

Hintergründe zur Methode "Lesen durch Schreiben"
Bei der hier beschriebenen Methode wird anstelle eines Leseunterrichts ein Schreibunterricht betrieben. Dahinter steht die Auffassung, dass jedem Leseprozess zunächst ein Schreibprozess vorausgeht, denn zuerst war das geschriebene Wort, welches anschließend gelesen werden kann. Schreiben ist ein bewusster, willentlicher und mit Motorik verknüpfter Prozess, bei dem einzelne Buchstaben hintereinander gereiht Wörter und Sätze bilden. Letztlich ist es dabei egal, ob die Buchstaben gemalt, geschrieben, gesetzt oder getippt werden. Ziel ist es, dass Kinder irgendwann Wörter als Ganzes sehen beziehungsweise erfassen können – dann können sie auch lesen.

Auf neuronaler Ebene wird dieses Phänomen, das einem beim Blick auf das Papier Wörter quasi ins Auge springen, als "Blitzlesen" bezeichnet. Das Blitzlesen steht dem buchstabenweisen Erlesen von Wörtern gegenüber. Im Gehirn koexistieren beide Wahrnehmungskanäle: einer für visuelle, phonologische Codierung und einer für die semantische, inhaltliche Codierung von Wörtern. Gute Leser müssen den Umweg über eine Vokalisierung oder Subvokalisierung (innerliches mitlesen) von Wörtern nicht nehmen; sie erfassen die Bedeutung von Wörtern visuell. Wer dieses Stadium des Lesens erreicht, kann sich zu den Schnell-Lesern mit hohem Verständnis- und Behaltensgrad zählen (Stichwort: Speed-Reading).

Wortüberlegenheitseffekt
Ein weiterer Aspekt für die visuelle Erfassung von Wörtern ist der Wortüberlegenheitseffekt. Er besagt, dass ein Leser ganze Wörter einer Sprache schneller und mit einer kleineren Fehlerrate erkennt als einzeln stehende Buchstaben und Nonsenswörter. Der Wortüberlegenheitseffekt ist der Grund warum Sie folgenden Satz lesen können:

Man knan acuh Stäze lseen, wnen die Bchusatebn nciht in der rcihtegin Rheienflgoe setehn – aeilln der eestre und der ltzete Bchusatbe msus stmmien.

Hat ein Kind allein die Fähigkeit des buchstabenweisen Erlesens von Wörtern gelernt, so kann es dies (noch) nicht. Es ist nicht belegt, dass ein buchstabenweises Lesen Voraussetzung für ein flüssiges Lesen ist. Wer einen Text fehlerfrei laut vorlesen kann, hat ihn noch lange nicht verstanden! Und genau das sinnentnehmende Lesen ist ja das große Problem vieler Kinder und Jugendlicher.

Kritik an der Methode "Lesen durch Schreiben"
Die Gegner der Methode „Lesen durch Schreiben“ kritisieren, dass nicht jedes Kind das Ziel des Blitzlesens erreicht. Außerdem ist gesprochene Sprache nicht gleich geschriebener Sprache, was – besonders anfänglich – zu einer grotesken Rechtschreibung führt. Und die hier vorgestellte Methode ist auch nicht für jeden Lehrer / jede Lehrerin die richtige Methode. Denn unterrichten kann nur, wer hinter der angewandten Methode steht und diese mit viel Motivation vermittelt. Der eher offene Werkstattunterricht erfordert zunächst mehr Zeit zur Unterrichtsvor- und -nachbereitung und die pädagogische Präsenz ist stärker gefordert. Auch bringt ein freier Unterricht in dieser Altersstufe deutlich mehr Unruhe mit sich, worunter unter Umständen die Konzentration leiden kann.

Quelle: Planetopia: Fallsche Rächtschreibung – wie Schüler mit Lautschrift besser lernen sollen, 21.11.2011

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen