Erkenntnisse der Hirnforschung und ihre Übertragung auf Lern-Arrangements
1986 stellte der amerikanische Psychologe Alan Paivio die Dual Code Theorie auf. Dieses Gedächtnismodell stützt sich auf die Kognitionspsychologie und veranschaulicht einen positiven Lerneffekt bei gleichzeitiger Darbietung von Bild und Text. Kognition lässt sich mit den Begriffen „erkennen“, „erfahren“ oder auch „kennenlernen“ umschreiben. Somit beschäftigt sich die Kognitionspsychologie mit all jenen psychischen Vorgängen, die mit Wahrnehmung, Erkenntnis und Wissen zusammenhängen.
Zu den kognitiven Fähigkeiten zählen:
- Aufmerksamkeit
- Erinnerung
- Lernen
- Kreativität
- Planen
- Orientierung
- Imagination
- Argumentation
- Wille
- Glaube
- ...
Dual Code Theorie
Die Kernaussage der Dual Code Theorie nach Paivio lautet, dass es im Großhirn zwei unterschiedliche spezialisierte mentale Systeme gibt, die Inhalte unterschiedlich codieren und repräsentieren:
1. verbale Codierung, die für sprachliche Informationen (Wortmarken), wie Lesen und Hören von Begriffen, zuständig ist und
2. non-verbale oder imaginale Codierung, die für bildhafte Informationen (Bildmarken) sowie Reize des Geruchs-, Geschmacks- und Tastsinns zuständig ist.
Das verbale System arbeitet sequenziell; die Verarbeitung von Informationen erfolgt also nacheinander. Das non-verbale System verarbeitet mentale Bilder auf analogem Wege, wobei ähnliche Strukturen oder Sachverhalte in einen Zusammenhang (Kontext) gestellt werden.
Dabei ist die Aktivierung der Systeme von der Art des Reizes abhängig. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass das jeweils andere System ebenfalls aktiviert wird. So aktiviert beispielsweise das Lesen des Wortes „Hund“ zunächst das verbale System, löst aber gleichzeitig eine bildhafte Vorstellung im Kopf des Lesers aus. Umgekehrt löst ein Foto von einem Hund zunächst eine non-verbale Codierung aus, aktiviert aber auch das Wort „Hund“ im verbalen System. Zudem können noch weitere Assoziationen (Erfahrung mit dem Nachbarshund, Erinnerungen an den verstorbenen Familienhund etc.) ausgelöst werden. Laut Paivio erhöht eine solche doppelte Codierung die Behaltenswahrscheinlichkeit eines Lernstoffs. Dies gilt allerdings nur für konkrete, vorstellbare Begriffe. Handelt es sich um abstrakte Begrifflichkeiten, so wird ihre Information ausschließlich im verbalen System repräsentiert. Außerdem werden Bilder in der Regel per se besser erinnert, als Wörter, da Bilder häufiger in beiden Systemen gespeichert werden und der Zugang beim Erinnerungsprozess leichter fällt. Dies erklärt nach Paivio den Bildüberlegenheitseffekt, bei dem Bilder meistens besser erinnert werden können.
Anwendbarkeit der Dual Code Theorie auf Lern-Angebote
Häufig wird bei multimedialen Lernangeboten nur die visuelle Modalität in Form von Texten und Bildern angesprochen. Die Ergänzung von auditiven Elementen führt zur doppelten Codierung, denn gesprochene Sprache ist einprägsam, weckt Aufmerksamkeit und wirkt im Vergleich zu gedruckten Texten persönlicher. So ist es für den Lerner entlastend, wenn er eine gesprochene Erläuterung zu einem komplexen Bild oder Diagramm erhält. Das aktive Zuhören erfordert jedoch auch deutlich mehr Konzentration vom Lerner.
Bei der didaktischen Konzeption von Lerninhalten sind nach der Dual Code Theorie von Paivio folgende Kombinationen aus verbalen und non-verbalen Darbietungsformen für einen positiven Lernerfolg wirksam:
- Text + Standbild
- Text + Bewegtbild
- Text + Sound
- Sprache + Standbild
- Sprache + Bewegtbild
- Sprache + Sound
Die Dual Code Theorie wurde vor allem zur Erklärung des Bildüberlegenheitseffekts entwickelt – sie erklärt jedoch viele andere Phänomene nicht. Weitere Kritik an der Dual Code Theorie sind die fehlende Mehr-Speicher-Konzeption (Verarbeitung und Speicherung in den jeweiligen Systemen), der Einfluss bei Aktivierung von Vorwissen und die fehlende Betrachtung der Verarbeitungstiefe des Lernstoffs.
Hemisphärentheorie
Die Dual Code Theorie basiert auf der Hemisphärentheorie des Gehirns. Hierbei verarbeitet die linke Gehirnhälfte symbolische Zeichen, wie Sprache, Schrift und Zahlen, während die rechte Gehirnhälfte Bild- und Schallinformationen verarbeitet. Weiter verallgemeinert ist die linke Hälfte für den Verstand, also für das rationale Denken sowie analytische und mathematische Prozesse, und die rechte Hälfte für die Gefühle, Intuition und Kreativität verantwortlich. Lerninhalte sollten deshalb stets beide Gehirnhälften ansprechen, um ein optimales Lernergebnis zu erreichen. Hieraus ergibt sich die Forderung nach Visualisierung und Verbalisierung von abstrakten Lerninhalten.
Bewertung der Gedächtnistheorien
Neuere Ergebnisse der Hirnforschung schwächen jedoch beide Theorien ab. Denn die Hemisphörentheorie bezieht sich primär auf die Lokalisierung der Sprachareale (Wernicke- und Broca-Areale) gleichzeitig ist die Lokalisation von Emotionen im Gehirn nicht eindeutig nachweisbar. Somit erfolgt die Trennung der Verarbeitung tendenzielle vermehrt in der einen oder anderen Gehirnhälfte, dies ist aber nicht immer und eindeutig so. Denn beispielsweise bei Linkshändern, ist nicht einfach alles umgekehrt, sondern die Verarbeitung erfolgt breiter und damit anders. Somit sind beide Gedächtnismodelle lediglich eine starke Vereinfachung der tatsächlichen Abläufe im Gehirn.
Quellen:
- Online-Lernen – Handbuch für Wissenschaft und Praxis, „Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen“, Bernd Weidenmann, S. 73-86, Oldenbourg Verlag München 2009, ISBN: 978-3-486-58867-5
- „Marke und Hirnforschung Status quo.“, Dieter Ahlert, Peter Kenning, marketingjournal, Heft 7-8, 2004, Seiten 44-46
- „Bewertung multimedialer Darstellungsformen unter didaktischen Gesichtspunkten“, Diplomarbeit von Kaiser Johannes, 1999, S. 48-49, PDF
- Smarter-learning: “Dual Code Theory”